[9] Anna Woyk
Tochter von [18] Ferdinand Woyk und [19] Barbara Schlegel.

Vor Annas Geburt hatten ihre Eltern bereits eine Tochter Anna. Die erste Anna starb bald,
meine Oma war so etwas wie eine Ersatz-Anna. Ihre Kindheitsjahre waren wenig
freudvoll. Ihre Mutter, oft schwanger, zudem kränklich, von der Sorge um
die Familie geplagt, verbreitete im Hause kaum Sonne und Heiterkeit. Für
Vater Woyk gab es in den Wintermonaten selten Arbeit, und Schmalhans war
dann Küchenmeister.
Als Anna im 11. Lebensjahr war, drohte beinahe die Welt
über sie zusammenzubrechen: Anna wurde nicht mit in die nächst höhere Klasse
übernommen - aus Platzmangel. Die letzten des Alphabets mussten sehen, wo
und wer sie unterrichtet. Ihre Mutter konnte sie daheim gut gebrauchen,
zumal Maria, die Älteste, schon außer Haus eine Arbeitsstelle angenommen
hatte und die kleineren Geschwister Aufsicht brauchten.
Mit 14 Jahren verließ auch Anna das
Haus und verdingte sich als Haus- und Kindermädchen. Nach einigen Wechseln
fand Anna eine "gute Herrschaft", die Familie Adalbert Fischer. Fischer
kam selbst aus dem einfachsten Hausiererdasein, doch Fleiß, Sparsamkeit
und Unternehmensgeist hatten ihn zum königlichen Hoflieferanten gemacht; er
gründete eine Sattlerwarenfabrik in Guttstadt. 1905 ging er nach Berlin
und kaufte sich einen Villenhaushalt und gründete - neben einer Filiale
in Schweden - auch in Berlin eine Niederlassung. Anna war inzwischen 21
Jahre und volljährig und -obwohl sie ja schon immer Nonne werden wollte
und im Kloster leben wollte - begleitete sie ihren Chef nach Berlin. Schon
von ihrem ererbten Wesen her war sie stolz, selbstbewusst, realistisch,
mit Sinn und Gespür für feine Umgangsformen und versäumte nicht. auch ihren
geistigen Horizont zu erweitern. Das Haus Fischer war für sie auf fast allen
Gebieten eine gute Ausbildungsstätte.
Bei einem Besuch, den sie am Neujahrstag
1906 ihrem Onkel Josef Woyk machte, sah sie das erste Mal ihren zukünftigen
Gatten, den Ermländer [8] Eduard Woelky.

1906

28.09.1907

Rudolf, Bruno, Anna mit Georg, Herta, 1914

1962
Anna übernahm mit Ausbruch des 1. Weltkrieges mehr und mehr die Hauptlast für die Familie, ihr Mann wurde nach dem Kriege immer häufiger bettlägerig. Sechs Tage vor ihrem 42 Geburtstag wurde sie Witwe, für sie begann mit fünf unmündigen Kinder - das jüngste war erst drei Jahre alt - ein neuer Lebensabschnitt. Sie verdiente sich als Haushaltshilfe noch etwas Geld zur Rente, so lange noch alle Kinder im Hause waren. Ihre Tochter Herta war die erste, sie heiratete am 17.6.1933 und zog in eine eigene Wohnung nach Berlin-Niederschönhausen, Uhlandstr. 25. Sohn Bruno verließ als zweiter das Elternhaus und wurde Berufssoldat. Rudolf heiratete am 2.10.1936 und zog zur Birkenstr. 42. Drei Jahre später war Georgs Hochzeit (24.6.1939). Danach wohnte Anna mit ihrer Jüngsten, Lucia-Maria allein in der Wohnung.
Im 2. Weltkrieg brannte ihre Wohnung im 4. Stock des Hauses
Stendaler Str. 12 durch eine Brand- und Sprengbombe aus. Sie konnte
nichts retten, außer die Sachen, die sie am Leibe trug. Sie und ihre Tochter
kamen in eine Notunterkunft nach Berlin-Grünau und auch danach erfolgte
ein ständiger Wohnungswechsel. Als ihre Tochter Lucie am 12.9.1953 heiratete
wurde sie in die Wohnung des jungen Paares in der Tile-Wardenberg-Str., in Berlin-Tiergarten, aufgenommen
und blieb auch bei der Familie Reiß, als diese im Westerwald, Helferskirchen,
ein Eigenheim bauten.
Im Frühjahr kam ihre älteste Tochter Herta in das
sechs Kilometer entfernte Ebernhahn, sie hatte noch einmal geheiratet. Als
ihr Mann, Markus Heldt, zweieinhalbe Jahre später an einem Herzinfarkt starb,
nahm Herta ihre Mutter bei sich auf, bis Anna mit 92 Jahre die Augen für
immer schloss.